Ankunft im „Paradies“ und ernüchternde Wirk-Lichkeiten
Das Haus meiner Tochter Eva und ihrem Mann Grant liegt hoch oben auf einem Hügel der das ganze Land weitläufig übersieht. „A million dollar view“ nennt man dieses Privileg. Tatsächlich hatte ich selbst bisher nur die Observatorien der Warrumbungle vom Rand einer der zirka 800 Meter hoch liegenden Klippen der 4000 Hektar Farm meiner Familie gesehen. Die im Zentrum allen Geschehens hier liegende Stadt Coonabarabran jedoch war mir, aus dieser spektakulären Perspektive, bisher unbekannt. Ein wahrer Augenschmaus! Eingeschmiegt in das wellige Hügelland liegt sie umsäumt von Wald und Grün, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres.
Für mich ein Geschenk des Wiedersehens.
Was es zu guter Letzt bedeutet einen solchen Zugang zur natürlichen Umgebung als selbstverständlich zu bezeichnen, drückt sich überdeutlich in der Angebot abhängigen Lebensweise der Einheimischen aus. Einerseits dominiert die menschliche Freundlichkeit wie ein Ausdruck direkter Beziehung zum Leben, und andererseits scheint Langeweile und Desillusionierung den Erfahrungshorizont des Einzelnen auf die Konsumangebote einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft zu reduzieren.
Mit anderen Worten, fast alle Erwachsenen sind übergewichtig. Besonders viele Frauen suchen Befriedigung und Ausgleich in der unbegrenzten Nahrungsaufnahme. Noch immer ist im Landesinneren, das gesellschaftliche Leben von einer dominierenden Männerwelt geprägt in der Frauen ihre zumeist zugeteilte Rolle zu spielen haben, sonst………………
Das ist natürlich nicht durchweg der Fall. Auffällig jedoch bleibt, dass man fast nur übergewichtige Frauen sieht und sogar Kinder ihre Erfüllung in der Nahrungsaufnahme zu suchen scheinen.
Über diese ernüchternde Feststellung, welche ja durchaus auf alle westlich geprägten Gesellschaften übertragbar ist hinaus jedoch, bleibt der Eindruck menschlicher Zuwendung in allen Bereichen.
Freundlich gefragt und mit Aufmerksamkeit bedacht, zeigen alle Australier ihre beste Seite, sind hilfsbereit und zuvorkommend. Eben ganz so wie ich es mir wünsche.
Ich fühle mich „Zuhause“.
Eine kleine Begebenheit die ich eines schönen Sommertages in Deutschland erlebte macht diesen Eindruck noch deutlicher:
Während eines sommerlichen Platzregens hatten sich zwei Männer mit einem Hund schützend unter einen großen Baum gestellt. Ich kam in Eile mit der Intention mich auch für dem Wasser schützen zu wollen auf die Beiden zu geradelt und überhörte schon von Weitem den Kern ihrer Konversation.
Mit meiner zeitgleichen Ankunft gab ich einen durchaus passenden, humoristischen Kommentar, in der Annahme dazu, dass die Beiden mich in dieses spontane Stelldichein einbeziehen würden.
Das Gegenteil jedoch war der Fall. Man wendete sich von mir ab und schloss jede Bereitschaft mich als gleichwertiger Mensch einzubeziehen aus.
Das jedoch wollte ich keineswegs unkommentiert lassen. So baute ich mich mutig vor den beiden Männern auf und verlangte eine Erklärung mit den Worten: „So geht das aber nicht! Ich komme hier mit offenem Gemüt um mich Euch anzuschließen, und ihr dreht mir den Rücken zu.“
„Mmmh“, kam die Antwort; „so sind wir hier“!
Meine Antwort darauf kam spontan:“ Wenn das der Fall ist, so müsst ihr euch eben ändern. Wir leben im Zeitalter der internationalen Vernetzung und dürfen es uns nicht aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen erlauben, andere aus zu blenden.“
Der Kommentar wurde zwar mit einem zögerlichen Kopfnicken kommentiert, jedoch hatte ich eher den Eindruck einen Gedankenanstoß gesetzt zu haben, als eine spontane Veränderung zu bewirken.
Diese hier fehlende Offenheit anderen Menschen gegenüber, habe ich in Australien natürlich auch schon erlebt. Zwar sind hier differenzierende Meinungen genauso an der Tagesordnung, aber eine grundsätzliche Toleranz und Anerkennung Anderer ist weit verbreitet.
Der bisher in Deutschland nur sehr zögerliche Ansatz Andersartige Lebensgewohnheiten zu tolerieren, gehört in Australien bereits zur gelebten Qualität. Multi-Kulti ist hier nicht nur ein Begriff, sondern, vor Allem bei den öffentlichen Ämtern, gelebter Alltag.
Mit dieser Feststellung noch einmal kurz zur philosophischen Sicht unseres aufrichtigen Anliegens mehr von dem zu verstehen was wir sind. Immerhin geht es dabei um die Erfahrungsqualität unserer ganz persönlichen Wahrnehmung.
Gleich wieviel Recht wir beanspruchen dürfen den kulturellen Traditionen unserer Nationalität Raum und Selbstverständnis zu geben, die Erkenntnis, dass der Andere, aus einer anderen Kultur Kommende, von der gleichen Quelle des Lebens gespeist wird, darf nie übersehen werden.
Die Andersartigkeit einer Kultur ist immer nur Augenscheinlich ein Kostüm was das Leben trägt, um seine Vielfältigkeit auszudrücken.
Jeder von uns in seiner eigenen Ausprägung hat das Recht so zu sein und trotzdem die Anerkennung des Anderen als Mensch zu genießen.
Ja, Diskrepanzen entstehen immer dort wo Gegensätze aufeinander treffen, und diese wollen angesprochen, definiert, verstanden und toleriert werden; die Anerkennung des „Menschseins“ jedoch darf durch diesen Prozess niemals Einschränkung erfahren.
Keine Gewalt der Welt hat es jemals vermocht den Prozess der menschlichen Selbstfindung zu unterdrücken. Die Zeit wird uns so lange vor die Notwendigkeit der Selbsterkennung stellen, bis wir es in der Tiefe unseres Herzens verstanden haben, was es bedeutet, lebendig zu sein!
Das es Grenzen gibt, die zu Überschreiten keiner das Recht hat, brauche ich nicht zu erwähnen. Und so bleiben bestehende Konflikte zwischen den Kulturen eine Herausforderung für alle Teilnehmer.
Worauf es ankommt in der Konfrontation, ist das von Liebe und Intelligenz geprägte Handeln. Es sind die Augenblicke in denen wir uns und unsere Persönlichkeit vergessen, in denen diese Handlungsweise zum Tragen kommt.
Das Bewusstsein selbst liegt aller Existenz zu Grunde und zeigt durch das was es hervorbringt Liebe, Schönheit und Intelligenz.
So intelligent und weise wie unser Körper in jedem Augenblick ganz unabhängig von unserer Kontrolle funktioniert, so wirkt auch die liebevolle Intelligenz des Geistes in unseren Handlungen, wenn wir nur bereit sind loszulassen.
Diese tägliche Handlung scheint durch ihre „Normalität“ so banal, dass wir nicht einmal auf den Gedanken kommen, ihr einen besonderen Wert beizumessen.
Machen wir das aber doch gleich einmal:
Wir gehen schlafen um, unkontrolliert und jenseits unseren Wachbewusstseins zu regenerieren. Dabei sind wir Eins mit der Quelle aus der wir stetig erwachsen, aus der wir stetig in die Gegenwart des Lebens entstehen.
Wir sind dem was wir „Gott“ nennen so nahe, dass wir uns danach sehnen wenn die körperlichen Energien des Tages verbraucht sind.
Nach dem Schlaf erwachen wir, und glauben sogleich, meist aufgrund vergangener Erfahrungen, das Leben wieder kontrollieren zu müssen.
Genau darin liegt der Stolperstein, welcher, oft auf hintergründiger Angst basierend, uns wieder und wieder in die gleiche Falle treten lässt.
Was ich da als „Falle“ bezeichne ist, das was uns davon abhält unserer wahren Natur entsprechend, glücklich zu sein. Der Wunsch nach Kontrolle, Urteil und selbst-determinierter Sicherheit, legt sich wie ein Schatten über den lebendigen Glanz der Wirklichkeit.
Ich meine; machen wir uns doch einmal bewusst, das unsere Gegenwart im wunderbaren Leuchten der existenziellen Schönheit erstrahlt, wenn wir sie nur wahrnehmen wollen.
Natürlich ist diese Schönheit in den Formen und Farben der Blumen offensichtlich. Vorhanden jedoch ist sie in Allem dem wir Aufmerksamkeit schenken.
Achtsamkeit ist uns kein Fremdwort mehr und ersetzt den Begriff der Aufmerksamkeit. Wir atmen und sind jetzt hier! Nicht gedankenverloren in Vergangenheit oder Zukunft. Nein, Jetzt, genau dort wo unser Leben stattfindet! Und genau dort, im “Hier und Jetzt” kann uns klar und deutlich werden, was unsere Berufung ist, nirgendwo sonst.
Herzlich, Euer
Richard C Rickert

